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Mietwagen oder Nutzungsausfallentschädigung bei Verkehrsunfall?

Nach einem Verkehrsunfall ist der Ersatz oder die Reparatur des Wagens nicht die einzige Möglichkeit: Auch der sogenannte Nutzungsausfall stellt eine Option dar, Schadensersatz vom Unfallverursacher oder seiner KFZ-Versicherung einzufordern.

1. Nutzungsausfall des Autos nach Verkehrsunfall

Wer unverschuldet in einen Verkehrsunfall gerät, bei dem das Auto beschädigt wird, der kann vom Unfallverursacher (oder dessen KFZ-Versicherung) Ersatz des entstandenen Schadens verlangen. Schadenersatz kann nun nicht nur für die Beschädigung des Wagens bzw. dessen Reparatur (Reparaturkosten) gefordert werden, sondern auch für die durch den Unfall ausgefallene Möglichkeit, den Wagen zu benutzen (Nutzungsausfall), weil dieser repariert werden muss. Denn auch dieser Nutzungsausfall stellt einen Schaden nach deutschem Schadensrecht dar. Der folgende Beitrag klärt, was man dabei beachten muss.

2. Mietwagen oder Nutzungsentschädigung?

Grundsätzlich hat der Eigentümer des geschädigten Autos die Wahl, ob er die Kosten eines angemieteten Mietwagens oder aber eine Nutzungsentschädigung in Geld vom Unfallverursacher fordert. Während viele Autofahrer wissen, dass sie nach einem unverschuldeten Unfall einen Mietwagen anmieten können, herrscht über die Möglichkeit eines Nutzungsausfalls in Geld oft Unwissen.

Dabei ist es in vielen Fällen sogar vorteilhaft, statt der Mietwagenkosten eine Nutzungsausfallentschädigung in Geld für den Zeitraum des Nutzungsausfalls (dazu gleich) zu fordern. Dies hat folgende Gründe:

  • Die Nutzungsausfallentschädigung ist oft höher als die Kosten des Mietwagens. Dies liegt daran, dass die Mietwagenkosten für längere Zeiträume (z.B. zwei Wochen) oft mit Zeitrabatten gewährt werden, während der Nutzungsausfall pro Tag berechnet wird. Für eine beanspruchte Entschädigung in Geld kann zudem immer noch ein Mietwagen angemietet werden und dies auch nur nach Bedarf oder für einige Tage.
  • Wer eine Nutzungsausfallentschädigung einfordert, ist nicht verpflichtet, einen Ersatzwagen anzumieten. Er kann auch andere Verkehrsmittel benutzen und das Geld behalten.
  • Ist die Verschuldensfrage des Unfalls nicht geklärt, ist es oft sicherer, Nutzungsausfall in Geld zu fordern. Denn diesen können Sie wieder zurückzahlen, wenn Ihnen eine Schuld oder Teilschuld am Unfall zugesprochen wird. Auf den Mietwagenkosten bleiben Sie in solchen Fällen „sitzen“ und müssen den Betrag der Mietwagenkosten womöglich an den Unfallgegner zurückerstatten.

Die Höhe des Nutzungsausfalls, d.h. des Nutzungsausfallsersatzes errechnet sich aus der Höhe der Nutzungspauschale pro Tag multipliziert mit der Dauer des (anrechenbaren) Nutzungsausfalls in Tagen:

Nutzungsausfallsersatz = Nutzungspauschale pro Tag x Dauer des Nutzungsausfalls in Tagen.

3. Nutzungsausfall pro Tag nach der Schwacke-Liste

Da der Nutzungsausfallersatz für die fehlende Nutzungsmöglichkeit des konkret beschädigten Wagens anfällt, bemisst sich die Nutzungspauschale nach dessen Wert. Zur Wertermittlung wird zur Vereinfachung oft (aber nicht immer, dazu gleich) die sog. Schwacke-Liste der Autoren Sanden/Danner/Küppersbusch herangezogen, wobei hier der Fahrzeugtyp und das Alter des Fahrzeugs eine Rolle spielen. Eine Schwacke-Bewertung ist auch im Internet kostenpflichtig abrufbar. Eine kostenlose Abrufmöglichkeit besteht leider nicht mehr.

Die Tabelle der Schwacke-Liste nimmt eine Einordnung der Fahrzeugtypen in Gruppen (A – L) vor. Für die Gruppen werden verschiedene Nutzungswerte der Fahrzeuge pro Tag vergeben. Kriterien für die Bewertung sind u.a. die Ausstattung, der Hubraum oder der Motortyp (z.B. Diesel oder Benziner). Für besondere Fahrzeugtypen (z.B. Motorräder) existieren gesonderte Listen.

Die Wertvergaben schwanken zwischen 23 Euro (Gruppe A) und 175 Euro (Gruppe L) pro Tag. Bei älteren Fahrzeugen werden Abschläge vorgenommen, da sich der Nutzungswert eines Fahrzeugs pro Tag mit dem Fahrzeugwert vermindert:

  • Fahrzeuge, die älter als fünf Jahre sind, werden in die nächstniedrigere Schwacke-Gruppe eingeordnet
  • für Fahrzeuge, die älter als zehn Jahre sind, wird ein Abschlag von 2 Schwacke-Gruppen vorgenommen
Beispiel: Ein Fahrzeug wird in die Kategorie L (175 Euro Nutzwert pro Tag) eingeordnet. Ist das Auto 5 Jahre alt, wird es in die Kategorie K (119 Euro) abgestuft. Bei einem Fahrzeugalter von 10 Jahren erfolgt eine Abstufung in die Kategorie J (79 Euro).

4. Andere Berechnungsmodelle

Die Gerichte sind nicht an die Schwacke-Liste gebunden und können andere Listen oder Berechnungsmodelle heranziehen bzw. den Nutzungswert selbst schätzen. Da auch vorgefertigte Listen nur als Schätzungsgrundlage dienen, können die Gerichte ebenso Zu- und Abschläge zu diesen Listenwerten vornehmen, wenn ihnen das für den konkreten Fall sinnvoll erscheint (Bundesgerichtshof v. 12.04.2011 – Az. VI ZR 300/09). Allerdings halten sich viele Gerichte bzw. Gerichtsbezirke an eine Nutzungswertermittlung. Es ist deshalb wichtig zu wissen, welches Berechnungsmodell an welchem Ort, d.h. in welchem Gerichtsbezirk verwendet wird! Sprechen Sie hier mit Ihrem Anwalt für Verkehrsrecht.

Verbreitet sind etwa folgende Bewertungsgrundlagen neben der Schwacke-Liste:

  • Andere Listeneinteilungen, z.B. Fraunhofer Mietwagenspiegel
  • Mittelwerte zwischen verschiedenen Listen, z.B. das Bielefelder Mischmodell zwischen Schwacke- und Fraunhofer-Liste, sog. Fracke-Modell
  • Bei zehn Jahre alten Fahrzeugen werden die Werte der Schwacke-Liste für Neufahrzeuge z.T. halbiert
  • Mitunter werden die Kosten für einen sofort bereitstehenden Mietwagen derselben Wagenklasse herangezogen (sog. Vorhaltekosten).

5. Wie lange kann Nutzungsausfall beansprucht werden?

Der Nutzungsersatz kann zunächst für die Zeit der Reparatur bzw. bei einem Totalschaden für die Zeit bis zur Neuanschaffung („Wiederbeschaffungszeitraum„) geltend gemacht werden. Dieser eigentliche Nutzungsersatz wird dabei von den Gerichten üblicherweise nur für einen Zeitraum von maximal 14 Tagen (im Einzelfall auch etwas darüber) zugesprochen. Wird also nach einem Totalschaden ein Neuwagen bestellt und ein besonders ausgefallenes oder individuell bestücktes Modell mit einer Lieferzeit von mehreren Wochen oder gar Monaten beansprucht, kann man nur für den Zeitraum von 2 Wochen Nutzungsausfall fordern.

Wichtig: Allerdings kann man neben dem eigentlichen Wiederbeschaffungszeitraum auch die Dauer zur Erstellung eines Schadensgutachtens (bis zu 2 Wochen) sowie eine Überlegungszeit (1 bis 3 Tage) hinzurechnen, sodass im Ergebnis auch wesentliche längere Ersatzzeiträume möglich sind. Die Rechtsprechung ist hier sehr umfangreich.

Beispiel aus der Rechtsprechung: Vor dem Oberlandesgericht Celle (Urt. v. 13.02.2014 – Az. 5 U 159/13) machte eine Frau erfolgreich einen Nutzungsersatzausfall für einen Zeitraum von insgesamt 26 Tagen geltend. Die Vorinstanz hatte nur Nutzungsersatz für 14 Tage zugesprochen.

Hier gilt: Insgesamt ist also der gesamte Zeitraum vom Tag des Unfalls bis zur Neuzulassung des neuen Wagens bzw. wenn der reparierte Wagen aus der Reparatur kommt, ersatzfähig. Ersatz gibt es aber natürlich nur für die Zeiträume, die tatsächlich angefallen sind.

6. Kürzung von Mietwagenkosten und Nutzungsausfall

Wer bei der Versicherung des Unfallgegners Mietwagenkosten oder Nutzungsersatz beansprucht, muss mit einer Kürzung dieser Kosten rechnen. Eine solche Kürzung durch die Versicherung bedeutet natürlich nicht, dass diese immer rechtens wäre. Viele dieser Einwände halten einer rechtlichen Nachprüfung nämlich nicht stand. Auch diesbezüglich ist die Rechtsprechung wieder sehr komplex. Hier ein Überblick über einige wichtige Fallgruppen:

  • Wahl des Mietwagens: Zwar darf kein überteuerter Mietwagen angemietet werden. Allerdings darf ein Mietwagen gewählt werden, der in der Fahrzeugklasse (nach Schwacke, ohne Altersabschlag) derjenigen des eigenen Wagens entspricht.
  • Mietwagen billiger als Nutzungsersatz: Der Nutzungsersatz darf nicht mit Hinweis auf billigere Mietwagenkosten durch die Versicherung gekürzt werden!
  • Zweitwageneinwand: Besitzer eines Zweitwagens müssen darlegen, dass der Wagen nicht als Ersatzfahrzeug benutzt werden konnte, z.B. wegen beruflicher Nutzung durch den Ehepartner. Die Benutzung eines Zweitwagens einer niedrigeren Fahrzeugklasse ist allerdings nicht zumutbar.
  • Fehlende Benutzbarkeit: Wer infolge des Unfalls im Krankenhaus liegt und gar keinen Wagen fahren kann, kann auch keinen Nutzungsersatz für sein Auto beanspruchen.
  • Fehlender Nutzungswille: Wenn man mit der Reparatur monatelang wartet muss man damit rechnen, dass einem hinterher vorgehalten wird, dass er das beschädigte Fahrzeug ohnehin nicht benutzt hätte.
  • Nur geringe Nutzung: Wer nur einen geringen Fahrbedarf (unter 20 km pro Tag) hat, kann keinen Nutzungsersatz für ein Ersatzauto verlangen. Er muss dann auf öffentliche Verkehrsmittel oder Taxifahrten zurückgreifen, die er natürlich geltend machen kann.
  • Gewerbliche Nutzung: Bei gewerblicher Nutzung und Gewinneinbußen aufgrund der fehlenden Nutzung können diese geltend gemacht werden. Man kann in einem solchen Fall aber nicht noch zusätzlich einen Nutzungsausfall für das Fahrzeug fordern.

7. Fazit

Streit um Nutzungsausfallersatz entbrennt in unzähligen Konstellationen – dies beschäftigt auch die deutsche Rechtsprechung. Grundsätzlich gilt:

  • Wer unverschuldet in einen Unfall gerät, kann Ersatz für einen Mietwagen ODER Nutzungsersatz in Geld für die fehlende Nutzungsmöglichkeit des eigenen Wagens fordern.
  • Nutzungsausfall wird durch die Ermittlung einer Nutzungspauschale pro Tag mal der Dauer des Ausfalls in Tagen errechnet.
  • Die Nutzungspauschalen werden nach der Schwacke-Liste oder anderen Auflistungen ermittelt.
  • Bei der Dauer kann nicht nur der eigentliche Nutzungsausfall, sondern auch die Zeit für ein Schadensgutachten und eine Überlegungszeit geltend gemacht werden.
  • Kürzungen durch die gegnerische Versicherung sind genau zu prüfen.

8. Praxistipp

Vor allem wenn die Versicherung die Zahlung ganz oder teilweise verweigert und entsprechende „Nachweise“ verlangt, ist große Vorsicht geboten. Wer der Versicherung etwa die Reparaturrechnung zukommen lässt, kann dann nicht mehr die geschätzten Reparaturkosten aus einem Schadensgutachten geltend machen. Deswegen: Überlegen Sie sich gut, welche Informationen Sie der Versicherung mitteilen! Im genannten Beispiel hätte eine Reparaturbescheinigung (ohne Angabe der Reparatursumme) ausgereicht.