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Verdachtskündigung am Arbeitsplatz – das gibt es zu beachten

Die Verdachtskündigung ermöglicht eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne nachgewiesenen Pflichtenverstoß. Doch auch hier gibt es rechtliche Vorgaben.

Die Verdachtskündigung ermöglicht eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne nachgewiesenen Pflichtenverstoß. Doch auch hier gibt es rechtliche Vorgaben.

1. Was ist eine Verdachtskündigung?

Im deutschen Arbeitsrecht setzt jede Arbeitgeberkündigung in der Regel einen Kündigungsgrund voraus. Denn außer in Kleinbetrieben fällt man nach sechs Monaten unter den Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KschG), welches eine soziale Rechtfertigung der Kündigung voraussetzt. Eine Kündigung kann nur aus persönlichen, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen erfolgen.

Geht es nicht um eine betriebsbedingte Kündigung (z.B. Stellenabbau), steht meist der erwiesene Vorwurf einer arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung im Raum, z.B. wiederholtes Zuspätkommen, häufige Krankheitszeiten oder der Diebstahl von Arbeitseigentum. Neben einer solchen sog. Tatkündigung ist jedoch auch der Ausspruch einer Kündigung wegen des bloßen Verdachts einer arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung des Arbeitnehmers denkbar.

Beispiel:
Arbeitnehmer A ist dringend verdächtig, einen Videobeamer entwendet zu haben, da nur er zur mutmaßlichen Tatzeit Zugriff hatte. A wird daraufhin die Kündigung erklärt.

Die Verdachtskündigung kann als ordentliche oder außerordentliche Kündigung (also fristlos) ausgesprochen werden. Freilich ist auch die Verdachtskündigung an rechtliche Vorgaben gebunden und darf nicht willkürlich erklärt werden. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Fragen.

2. Wann man eine Verdachtskündigung aussprechen kann

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG v. 18.06.2015 – Az. 2 AZR 256/14) ist für den Ausspruch einer Verdachtskündigung zunächst ein begründeter ernsthafter Tatverdacht hinsichtlich einer arbeitsrechtlichen Pflichtverletzung von einigem Gewicht erforderlich (z.B. Diebstahl am Arbeitsplatz, sexuelle Belästigung, tätliche Gewalt usw.).

Für einen solchen Verdacht ist eine umfangreiche Aufklärung des in Rede stehenden Sachverhalts erforderlich. Diese setzt voraus, dass der verdächtige Arbeitnehmer zu dem Tatvorwurf angehört und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde (dazu gleich).

Der Verdacht muss auch dringend sein und es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass die Tatvorwürfe auch wahr sind. Dafür sind entsprechende objektive Umstände (Indizien) erforderlich, die die Tatbegehung durch den Arbeitnehmer nahelegen. Bloße Verdächtigungen oder Vermutungen reichen dagegen nicht aus.

Beispiel:
Im oben genannten Beispiel (Videobeamer) konnte dem Arbeitnehmer A der Diebstahl selbst zwar nicht nachgewiesen werden. Der Umstand, dass nur er zur Tatzeit Zugriff auf den Schlüssel für den Schrank besaß, in dem der Videobeamer eingeschlossen war, legt seinen Diebstahl jedoch äußerst nahe.

Durch den Verdacht muss das Vertrauen des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer immens erschüttert worden sein: Das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss dabei das Interesse des Arbeitnehmers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überwiegen. Hier gilt jedoch: Auch bei der Entwendung geringwertiger Sachen (Nahrungsmittel, Stromdiebstahl) steht immer eine Kündigung im Raum, da der Arbeitgeber gegen ihn gerichtete Diebstähle nie dulden muss.

Beispiel:
Auch wer unbefugt sein Handy am Arbeitsplatz auflädt, Speisen des Arbeitgeber verzehrt oder Kleinstgegenstände entwendet (z.B. Lippenstift, Kaugummi usw.) muss mit einer Kündigung rechnen. Hier sind jedoch letztlich die Umstände des Einzelfalls entscheidend (Betriebszugehörigkeit, ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit, Wahrscheinlichkeit der Tatvorwürfe usw.)

3. Formale arbeitsrechtliche Voraussetzungen

Wie bei jeder arbeitsrechtlichen Kündigung ist danach zu fragen, ob die notwendigen formalen Voraussetzungen für eine Kündigung eingehalten wurden.

Eine vorherige Abmahnung ist beim Ausspruch einer Verdachtskündigung in den meisten Fällen nicht erforderlich. Denn der Grund für den Ausspruch einer Abmahnung liegt in deren Warnfunktion begründet: Dem Arbeitnehmer soll durch die Abmahnung ein erwiesenes Fehlverhalten vor Augen geführt werden, welches im Wiederholungsfall zur Kündigung führt. Dies ist bei einer Verdachtskündigung jedoch nicht der Fall, da ja gar kein nachgewiesener Verstoß, sondern lediglich dessen Verdacht im Raum steht. In einem solchen Fall macht eine „Warnung“ keinen Sinn.

Eine Ausnahme gibt es jedoch: Geht es in dem Verdacht lediglich um den Diebstahl von Sachen mit geringem Wert (sog. Bagatellkündigungen), muss zunächst eine Abmahnung ausgesprochen worden sein. Denn nach der Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 10.06.2010 – Az. 2 AZR 541/09) müsste in einem solchen Fall auch bei einem nachgewiesenen Diebstahl vorher abgemahnt werden, um eine Kündigung im Wiederholungsfall zu rechtfertigen. Dies muss dann aber erst recht für eine Verdachtskündigung gelten.

Zudem muss dem Arbeitnehmer wie angerissen die ausreichende Gelegenheit gegeben werden, sich zu den Tatvorwürfen äußern zu können. Dafür muss die Anhörung ausdrücklich in Hinsicht auf den Tatvorwurf erfolgen. Dem Arbeitnehmer muss die Möglichkeit eingeräumt werden, sich zu verteidigen und ihn entlastende Umstände zu seinen Gunsten vorzubringen.

Wie stets ist der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ebenfalls anzuhören, ansonsten ist die Kündigung unwirksam (§ 102 Abs. 1 S. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes – BetrVG). Schließlich muss die Kündigung natürlich auch schriftlich erklärt werden.

4. Fristen bei einer Verdachtskündigung

Eine Verdachtskündigung kann ordentlich, d.h. innerhalb den gesetzlichen (§ 622 BGB) bzw. im Arbeitsvertrag oder einem Tarifvertrag verankerten Fristen erfolgen. Ist es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, die Kündigungsfrist abzuwarten, ist auch eine außerordentliche, d.h. fristlose Kündigung möglich.

Wird die Verdachtskündigung in Form einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB ausgesprochen, so muss der Arbeitgeber die Kündigungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB im Blick behalten. Die Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen erfolgen, nachdem der Arbeitgeber von den Geschehnissen erfahren hat, auf die er seine Verdachtskündigung stützt. Ergeht gegen den Arbeitnehmer wegen des Vorwurfs ein Strafverfahren, kann der Arbeitgeber den Ausgang des Verfahrens abwarten und dann kündigen. Werden während des Verfahrens neue Umstände bekannt, die für den Verdacht des Arbeitgebers sprechen, kann er seine Kündigung auch auf diese Umstände stützen.

Der Ausspruch einer außerordentlichen Verdachtskündigung ist also nicht ganz einfach, hier werden gerade hinsichtlich der Frist immer wieder Fehler gemacht. Es empfiehlt sich daher die vorherige Beratung durch einen erfahrenen Anwalt für Arbeitsrecht.

5. Fazit

  • Eine Verdachtskündigung kann ausgesprochen werden, wenn der begründete Verdacht auf einen arbeitsrechtlichen Pflichtverstoß besteht, der objektiv belegbar ist
  • Eine Verdachtskündigung kann ordentlich oder außerordentlich (fristlos) ausgesprochen werden
  • Die Kündigung ist nur dann rechtmäßig, wenn das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Fortsetzungsinteresse des Arbeitnehmers übersteigt
  • Eine vorherige Abmahnung ist nur bei Bagatellkündigungen erforderlich
  • Dem Arbeitnehmer ist vor Ausspruch der Kündigung eine ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben
  • Eine außerordentliche Verdachtskündigung muss innerhalb von zwei Wochen erfolgen, nachdem der Arbeitgeber Kenntnis von dem Vorfall erlangt hat, auf den er die Kündigung stützt.

6. Praxistipp

Neben dem oben angesprochenen BAG-Urteil vom 10.06.2010 („Emily“ – Kündigung wegen der Einlösung von Pfandbons) sorgte schon der „Bienenstich“-Fall von 1984 (Kündigung wegen Diebstahls eines Bienenstichs) für mediales Aufsehen. Auch Fälle von „Stromdiebstahl“ (Entziehung elektrischer Energie) stehen immer wieder vor Gericht, etwa wegen des Gebrauchs eines elektrischen Rasierapparats  auf der Arbeit (Landesarbeitsgericht Köln v. 20.01.2012 – Az. 3 Sa 408/11). Der Arbeitnehmer geht hier auf „Nummer Sicher“, wenn er sich den Gebrauch elektrischer Geräte am Arbeitsplatz vorher vom Arbeitgeber genehmigen lässt.