1. Überblick: Kündigungsschutz Schwerbehinderter
Die §§ 168 ff. SGB IX regeln einen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte. Schwerbehindert im Sinne des Sozialgesetzbuches ist, wer einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 hat (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Wer einen Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 hat, kann einem Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Der besondere Kündigungsschutz des Sozialgesetzbuches tritt neben dem allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG).
Will ein Arbeitgeber einen schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen, muss er vor der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einholen.
Im Folgenden wird dargestellt, wann der besondere Kündigungsschutz nach dem SGB IX Anwendung findet und wann ein Schwerbehinderter gekündigt werden kann. Ein absolutes „Kündigungsverbot“ dahingehend, dass Schwerbehinderte überhaupt nicht gekündigt werden können, existiert nicht.
2. Schwerbehinderteneigenschaft und Gleichstellung
Schwerbehinderte haben einen Grad der Behinderung von 50 und mehr. Der Grad der Behinderung von 10 bis 100 wird in Zehnerschritten festgestellt. Ab einem Grad von 50 kann ein Schwerbehindertenausweis zum Nachweis der Schwerbehinderung bei den zuständigen Stellen (Versorgungsämter) beantragt werden.
Wer einen Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mindestens 30 hat, kann von der Agentur für Arbeit einem Schwerbehinderten gleichgestellt werden. Dies ist dann möglich, wenn nachgewiesen wird, dass ohne die Gleichstellung entweder keine Arbeitsstelle gefunden wird oder der Verlust einer bereits vorhandenen Arbeitsstelle droht. Die Arbeitsplatzgefährdung muss Folge der Behinderung sein. Erfolgt die Gleichstellung, genießt der Gleichgestellte den besonderen Kündigungsschutz Schwerbehinderter nach dem Sozialgesetzbuch. Der dann erlangte Kündigungsschutz ist wirksam ab dem Tag der Antragstellung zur Gleichstellung.
3. Zeitlicher Beginn des Sonderkündigungsschutzes
Der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte ist ausgeschlossen, wenn das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigungserklärung noch keine sechs Monate bestanden hat (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX). Abzustellen ist also auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung und nicht auf das Datum, zu dem gekündigt wird.
Wer schwerbehindert oder gleichgestellt ist, fällt nach sechs Monaten unter den besonderen Kündigungsschutz des SGB IX. Nicht erforderlich ist dagegen, dass die Schwerbehinderung zum Zeitpunkt der Kündigung bereits anerkannt wurde. Allerdings muss in einem solchen Fall nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung spätestens drei Wochen vor Ausspruch der Kündigung bereits gestellt worden sein – nur dann greift der Schwerbehindertenschutz (BAG v. 01.03.2007, Az. 2 AZR 217/06). Ist die Schwerbehinderung offensichtlich (z.B. Amputation eines Beins), greift diese Einschränkung nicht – in diesem Fall fällt ein Schwerbehinderter auch ohne Anerkennung unter den Schutz des SGB IX.
War die Schwerbehinderung dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt, muss der gekündigte Schwerbehinderte dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft spätestens drei Wochen nach Erhalt der Kündigung mitteilen.
4. Ausgenommene Berufsgruppen
Auch leitende Angestellte fallen als Arbeitnehmer unter den Kündigungsschutz für Schwerbehinderte. Etwas anderes gilt bei der Kündigung für GmbH-Geschäftsführer oder für nur arbeitnehmerähnliche Personen, etwa Handelsvertretern, da diese aufgrund eines Dienstvertrages tätig werden, aber keine „unselbstständigen“ Arbeitnehmer sind.
Weitere Ausnahmen bestehen für einige Berufsgruppen, die in § 156 Abs. 2 Nr. 2-5 SGB IX aufgeführt sind, etwa Personen deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist oder Maßnahmen zur Wiedereingliederung ins Arbeitsleben (ABM-Stellen). Ebenso hat keinen besonderen Kündigungsschutz, wer einen Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung auf Grund eines Sozialpenes hat und das 58. Lebensjahr vollendet hat.
5. Kündigung trotz Schwerbehinderung
Soll ein Arbeitnehmer gekündigt werden, der unter den Kündigungsschutz für Schwerbehinderte fällt, muss der Arbeitgeber vorher die Zustimmung des Integrationsamtes schriftlich beantragen. Versäumt der Arbeitgeber eine vorige Zustimmung des Integrationsamtes und kündigt einem schwerbehinderten Arbeitnehmer, ist die Kündigung unwirksam.
Besteht im Unternehmen eine Schwerbehindertenvertretung, ist diese vorab zu informieren. Das Integrationsamt untersucht den Sachverhalt und kann dafür Stellungnahmen der Schwerbehindertenvertretung bzw. des Betriebsrats einholen. Für das Zustimmungsverfahren kann eine mündliche Verhandlung angesetzt werden, insbesondere, wenn eine gütliche Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erreicht werden soll. Die Entscheidung des Integrationsamts über die Kündigung soll innerhalb eines Monats erfolgen.
Erteilt das Integrationsamt seine Zustimmung zu der Kündigung, muss die Kündigung spätestens einen Monat nach der Zustimmung erklärt werden. Innerhalb dieses Monats muss auch die Zustimmung eines Betriebsrats eingeholt werden.
Soll ein Schwerbehinderter außerordentlich, d.h. in der Regel fristlos aus besonderem Grund gekündigt werden, setzt § 174 SGB IX besondere Vorgaben fest. Die Zustimmung zur Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Das Integrationsamt entscheidet dann wiederum innerhalb von zwei Wochen über die Kündigung. Wird innerhalb dieser Frist keine Entscheidung getroffen, gilt die Zustimmung als erteilt. Erhält der Arbeitgeber die Zustimmung zu der Kündigung, muss er die Kündigung anschließend unverzüglich, d.h. am nächsten Tag nach Zugang der Zustimmung gegenüber dem Arbeitnehmer aussprechen.
Erklärt der Arbeitgeber die Kündigung, nachdem er die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt hat, kann der gegen diese Kündigung innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage (§ 4 KSchG) erhoben werden.
6. Umfang und Grenzen des Kündigungsschutzes
Der besondere Kündigungsschutz für Schwerbehinderte tritt neben den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz, d.h. eine Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein, darf also nur aus personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründen erfolgen.
Der Kündigungsschutz für Schwerbehinderte soll die rechtliche Stellung von Schwerbehinderten schützen und verhindern, dass Schwerbehinderte direkt oder indirekt aufgrund ihrer Behinderung gekündigt werden. Umstände, die mit der Schwerbehinderteneigenschaft in keinem Zusammenhang stehen, werden hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer Kündigung daher ebenso bewertet, wie dies bei Arbeitnehmern ohne Schwerbehinderteneigenschaft der Fall ist.
7. Fazit und Praxistipp
Wer unter den Kündigungsschutz als Schwerbehinderter fällt hat Anrecht auf eine Prüfung des gesamten Sachverhalts von Amts wegen durch das Integrationsamt. Dieses versucht insbesondere herauszufinden, ob die Kündigung mit der Schwerbehinderteneigenschaft in Zusammenhang steht oder nicht.
Steht der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung im Raum, muss der Arbeitgeber neben § 626 BGB zudem die Sondervorgaben des § 174 SGB IX beachten. Hier sind besonders die gesetzlichen Zeit- und Fristvorgaben zu achten. Eine Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung gilt als erteilt, wenn das Integrationsamt nicht innerhalb von zwei Wochen entscheidet, (§ 174 Abs. 3 S. 2 SGB IX). Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber nach Ablauf dieser zwei Wochen die Kündigung aussprechen muss, da die Kündigung ja „unverzüglich“ nach Zustimmung erfolgen muss (s.o.).