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Abstandsverstoß: Wann droht ein Bußgeld als Strafe?

Wer zu dicht auffährt und den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand zum Vordermann nicht einhält muss mit einem empfindlichen Bußgeld wegen Abstandsverstoß oder gar mit einem Fahrverbot rechnen, auch wenn es zu keinem Auffahrunfall kommt. Wann lohnt sich ein Einspruch gegen einen erhaltenen Bußgeldbescheid?

1. Abstandsgebot nach der StVO

Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung (StVO) bestimmt lediglich, dass der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug so groß sein muss, dass ein rechtzeitiges Anhalten auch bei plötzlichem Bremsen möglich ist. Für Omnibusse und LKW bestehen Sonderregelungen. Zu dichtes Auffahren stellt als Abstandsverstoß eine Ordnungswidrigkeit dar. Diese kann mit einem Bußgeld bis zu 400 Euro bzw. einem Fahrverbot bis zu drei Monaten geahndet werden. Zudem drohen bis zu 2 Punkte „in Flensburg“ im Fahreignungsregister nach den seit dem 1. Mai 2014 geltenden neuen Bußbestimmungen.

2. Mindestabstand während der Fahrt

Wie wird der gebotene Abstand zum Vordermann noch einmal berechnet? Wann ist man zu dicht aufgefahren? Der Abstand muss groß genug sein, um „rechtzeitig“ bremsen zu können. Der Bremsweg wird wiederum von der gefahrenen Geschwindigkeit beeinflusst.

Wir erinnern uns: Nach der „Faustformel“ entspricht der gebotene Abstand in Metern im Straßenverkehr zum Vordermann dem „halben Tachowert“, d.h. bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h sind 50 Meter Abstand einzuhalten.

Nach der „Sekundenregel“ entspricht die gefahrene Distanz pro Sekunde in Metern einem Zehntel der gefahrenen Geschwindigkeit in km/h multipliziert mal 3. Bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h werden demnach pro Sekunde 15 Meter (50/10*3=15) zurückgelegt. Fahrschulen empfehlen im Stadtverkehr einen Abstand von der in einer Sekunde zurückgelegten Distanz, außerhalb geschlossener Ortschaften wird ein Abstand der Strecke empfohlen, die in 2-3 Sekunden durch das Auto zurückgelegt wird. „Mehr“ ist hier auch mehr, denn häufig kommt noch eine „Schrecksekunde“ als Reaktionszeit hinzu, bevor gebremst wird. Ein zu geringer Abstand führt dann schnell zum Unfall.

Diese Rechenformeln sind allerdings nur bedingt „Rechtsformeln“: So zieht die Rechtsprechung die „Faustformel“ lediglich als unverbindlichen Maßstab heran. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls, wie es so schön heißt, etwa Straßen- und Witterungsbedingungen, die Dichte des Verkehrs und die konkrete Verkehrssituation.

3. Messverfahren und Messtoleranzen

Es existieren verschiedene Messverfahren zur Abstandsmessung im Straßenverkehr, etwa das Brückenabstandsmessverfahren oder das Videoabstandsmessverfahren, mit denen das Abstands- und Geschwindigkeitsverhalten des überwachten Fahrzeugs durch technische Hilfsmittel gemessen und aufgezeichnet wird. Jedoch wird auch die Messung durch einen Polizeibeamten ohne besondere technische Hilfsmittel durch Voraus- oder Hinterherfahren oder durch Messung mit einer Stoppuhr als Messmethode verwendet.

Alle – auch die standardisierten Messverfahren – werden immer wieder wegen Ungenauigkeiten, Messfehlern oder Manipulationsmöglichkeiten kritisiert. Bei standardisierten technischen Messverfahren beträgt der Toleranzabzug wegen Messungenauigkeiten in der Regel 3 % von der gemessenen Geschwindigkeit. Bei einer Messung von 130 km/h werden also (gerundet) 4 km/h wegen etwaigen Messungenauigkeiten abgezogen – ein Toleranzabzug „zu Gunsten des Angeklagten“.

4. Auffahrunfälle vor Gericht

Abstandsunterschreitung zum „Vordermann“ und damit Abstandsverstoß zählt zu den häufigsten Unfallursachen im Straßenverkehr und beschäftigt immer wieder unsere Gerichte. Zuletzt hatte das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (Beschl. v. 22.12.2014, Az. 3 RBs 264/14) über die Frage zu befinden, ob eine Unterschreitung des gebotenen Sicherheitsabstands für eine zeitlich geringe Dauer unerheblichsei. Gibt es eine „Drei-Sekunden-Regel“ für die Unterschreitung des Sicherheitsabstands? Ist das „vorübergehende Drängeln“ und zu dicht Auffahren auf der Autobahn etwa erlaubt? Ein Mann war mit 128 Stundenkilometern auf der Autobahn gefahren. Die Abstandsmessung ergab einen Abstand zum vorausfahrenden Auto von lediglich 17 Metern – statt der vorgeschriebenen 62 Meter. Der Mann erhielt ein Bußgeld über 160 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot.

Der Mann legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und argumentierte, er habe den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand lediglich für eine „unbeachtliche“ Dauer von weniger als drei Sekunden unterschritten. Das OLG Hamm urteilte: Eine „zeitliche Bagatellgrenze“ für nur kurze Unterschreitungen des Mindestabstandes enthält die Straßenverkehrsordnung nicht. Die Anerkennung einer „Drei-Sekunden-Regel“ oder ähnliches ist auch nicht geboten – Verstoß ist demnach Verstoß und wird als Verkehrsordnungswidrigkeit geahndet.

5. Abstandsberechnung mit Straßenmarkierungen?

Das OLG Oldenburg (Beschl. v. 05.01.2015, Az. 2 Ss Owi 322/14) verneinte jüngst die Pflicht eines LKW-Fahrers, die Längenverhältnisse von Straßenmarkierungen (unterbrochener Streifen: 6 Meter und Abstand zwischen zwei Streifen: 12 Meter) kennen zu müssen und daraus während der laufenden Fahrt den erforderlichen Abstand auf der Autobahn zu berechnen. Die Vorinstanz des Amtsgerichts Wildeshausen hatte eine derartige Berechnung durch den LKW-Fahrer noch für zumutbar erachtet.

6. Schuld bei Kettenauffahrunfällen

„Wer auffährt, hat immer Schuld“ – ein Satz, der so nicht gilt. Richtig ist: Nach dem „Beweis des ersten Anscheins“ muss der Auffahrende durch Tatsachen widerlegen, dass der Auffahrunfall nicht Folge von eigener Unaufmerksamkeit oder eben aufgrund eines zu geringen Abstands zum Vorausfahrenden passiert ist. Es wird also lediglich widerlegbar vermutet, dass der Auffahrende Schuld hat.

Das OLG Hamm (Urt. v. 06.02.2014, Az. 6 U 101/13) befand zu „Kettenauffahrunfällen“ mit mehr als zwei Unfallbeteiligten: Schon der „Beweis des ersten Anscheins“ zuungunsten des zuletzt Aufgefahrenen gilt hier nicht. Denn bei einem Kettenauffahrunfall stellt sich die Situation komplizierter dar als bei einem Auffahrunfall mit zwei Fahrzeugen. Im vor Gericht verhandelten Fall ließ sich nicht nachweisen, ob der „vorletzte“ Fahrer der Unfallkette seinerseits mit ausreichendem Abstand gefahren war und rechtzeitig gebremst hatte oder nicht. Das Gericht konnte diese Frage nicht aufklären und wertete die Verschuldensanteile des letzten und des vorletzten Fahrers – diese beiden stritten vor Gericht – mit „50:50“.

7. Plötzliches Abbremsen

Das Amtsgericht (AG) München (Urt. v. 19.02.2014, Az. 345 C 22960/13) nahm für ein abruptes, grundloses Abbremsen ein Mitverschulden des Vorausfahrenden in Höhe von 30 % an. Zwar bleibt es bei dem Ausgangspunkt, dass derjenige, der auffährt nach allem Anschein einen Fahrfehler begangen hat und grundsätzlich die Hauptschuld am Auffahrunfall trägt. Das grundlose Abbremsen des Vorausfahrenden ist allerdings mit 30 % anzurechnen, er macht sich also mitschuldig.

8. Verteidigungsmöglichkeiten

Zu dichtes Auffahren kann richtig teuer werden, ein Fahrverbot und Punkte in Flensburg nach sich ziehen. In der Probezeit drohen Probezeitverlängerung und ein Aufbauseminar. Sogar ein Führerscheinentzug ist möglich.
Wie verhalte ich mich, wenn mir ein Verstoß zur Last gelegt wird? Angaben vor der Polizei sollten am besten nicht ohne Anwalt getätigt werden. Dieser kann versuchen, durch Akteneinsicht eine Verteidigungsstrategie zu entwickeln: Bestehen etwa Anhaltspunkte für Messfehler oder Messungenauigkeiten, die einen größeren Toleranzabzug erfordern? Wurde die Verkehrssituation aufgrund der Messergebnisse „falsch“ und zu Ungunsten des Mandanten interpretiert? Nicht selten wird der Anwalt einen Sachverständigen hinzuziehen müssen. Eine Rechtschutzversicherung trägt regelmäßig auch diese Gutachterkosten. Es empfiehlt sich also, einen Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Verkehrsrecht aufzusuchen.