- Was ist ein Pflichtverteidiger?
- Wie bekommt man einen Pflichtverteidiger?
- So beantragt man einen Pflichtverteidiger
- Wer wird mein Pflichtverteidiger?
- Die Kosten oder Gebühren der Pflichtverteidigung
- Wer bezahlt den Pflichtverteidiger?
- Exkurs: Pflichtverteidiger im Jugendstrafrecht
- Kann man den Pflichtverteidiger wechseln oder sogar ablehnen?
- Fazit
1. Was ist ein Pflichtverteidiger?
Grundsätzlich hat jeder, dem eine Straftat vorgeworfen wird, das Recht auf Verteidigung durch einen Rechtsanwalt. Hierbei handelt es sich zunächst um einen sogenannten Wahlverteidiger nach § 138 der Strafprozessordnung (StPO): Der oder die Beschuldigte hat die Wahl, sich vom Profi verteidigen zu lassen oder nicht.
In Fällen der sogenannten notwendigen Verteidigung wird diese Wahl teilweise beschränkt. Das Gesetz schreibt in § 141 StPO sogar vor, dass dem Beschuldigten (auf Antrag) ein Verteidiger zur Seite gestellt werden muss. Hierbei handelt es sich dann um einen sogenannten Pflichtverteidiger.
Das wichtigste Beispiel für einen Fall der notwendigen Verteidigung dürfte der Vorwurf eines Verbrechens sein.
Aber was heißt das? Das Strafrecht unterscheidet anhand der Mindesthöhe der Strafandrohung bei Straftaten zwischen Vergehen und Verbrechen:
- Ein Vergehen stellt die mildere Form des Gesetzesverstoßes dar und liegt vor, wenn das Gesetz für die Straftat lediglich eine Geldstrafe oder eine Mindestfreiheitsstrafe von unter einem Jahr festlegt.
- Von einem Verbrechen spricht man, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr droht.
Jedoch gibt es auch eine Reihe anderer Fälle der Pflichtverteidigung: Kann ein Strafverfahren zum Beispiel zu einem Berufsverbot führen oder wurde ein Beschuldigter aufgrund eines zuvor ergangenen Haftbefehls von den Ermittlungsbehörden ergriffen und ist er nun einem Richter vorzuführen, liegt ebenfalls ein Fall der notwendigen Verteidigung vor.
Sobald der Beschuldigten erfahren hat, welche Tat ihm vorgeworfen wird, ist er über sein Recht auf Verteidigung aufzuklären. Wie es dann weitergeht, richtet sich nach dem Tatvorwurf und den Maßnahmen (z.B. Untersuchungshaft), die möglicherweise als nächstes von den Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Polizei) ergriffen werden.
Ob ein Fall der Pflichtverteidigung vorliegt, entscheidet im Ergebnis ein Gericht.
Liegen die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung nicht mehr vor, kann die Bestellung des Pflichtverteidigers unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden.
Ist es zur Sicherung der zügigen Durchführung eines Strafverfahrens nötig, können sogar bis zu drei Pflichtverteidiger bestellt sein.
Der Pflichtverteidiger bleibt so lange für seinen Mandanten zuständig, bis das gesamte Strafverfahren abgeschlossen ist.
2. Wie bekommt man einen Pflichtverteidiger?
In jedem Fall der notwendigen Verteidigung kann ein Antrag auf Pflichtverteidigung durch den Beschuldigten gestellt werden. Das Gesetz legt lediglich den Zeitpunkt fest, wann dem Beschuldigten – unabhängig davon, ob dieser einen Antrag gestellt hat – spätestens ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt werden muss.
Liegt die Anklageschrift bereits beim Gericht und dieses fordert den Beschuldigten zur Stellungnahme auf, muss ohne dessen Zutun durch das Gericht ein Pflichtverteidiger hinzugezogen werden.
In den nachfolgenden Fällen von § 141 Abs. 2 Nr. 1-3 StPO kümmert sich die Staatsanwaltschaft darum, dass der Beschuldigte einen Pflichtverteidiger durch das Gericht gestellt bekommt:
- Soll der Beschuldigte kurzfristig in ein Gefängnis (Untersuchungshaft) oder eine psychiatrische Anstalt, muss darüber ein Gericht entscheiden. Sobald die Vorführung vor dem Richter erfolgen soll, muss ein Pflichtverteidiger bestellt werden.
- Das gleiche gilt, wenn der Beschuldigte bereits wegen einer Gerichtsentscheidung in einer Anstalt ist.
- Manchmal zeigt sich schon mit den ersten Ermittlungsmaßnahmen, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann. Dies ist besonders relevant, wenn er Zeugen oder Opfern gegenübergestellt werden soll. Auch dann muss ein Pflichtverteidiger bestellt werden.
- In besonders eiligen Fällen kann die Staatsanwaltschaft ausnahmsweise vorläufig selbst über die Pflichtverteidigung entscheiden.
Voraussetzung ist, dass der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat oder er nicht selbst einen Antrag stellt. Notfalls muss die Staatsanwaltschaft auch direkt selbst einen Pflichtverteidiger hinzuziehen oder ablehnen.
3. So beantragt man einen Pflichtverteidiger
Der Beschuldigte muss im Falle einer notwendigen Verteidigung darüber belehrt werden, dass eine Pflichtverteidigung möglich ist und kann immer gem. § 141 Abs. 1 StPO selbst einen Antrag auf Pflichtverteidigung stellen. Über den Antrag muss entschieden werden, bevor der Beschuldigte von den ermittelnden Behörden vernommen wird oder eine Gegenüberstellung stattfindet. Die Staatsanwaltschaft wird dann eine eigene Stellungnahme zu dem Antrag verfassen und diesen anschließend unverzüglich bei dem zuständigen Gericht zur Entscheidung vorlegen, § 142 StPO.
Formelle Voraussetzungen an einen Antrag gibt es nicht. Der Antrag muss jedoch die Begründung für die Pflichtverteidigung (notwendige Verteidigung) beinhalten. Der Beschuldigte darf selbst Kontakt zu einem Anwalt aufnehmen, auch wenn dieser noch nicht als Pflichtverteidiger bestellt ist.
Wo muss der Antrag auf Pflichtverteidigung eingereicht werden?
- Vor der Erhebung einer Anklage, muss der Antrag bei Polizei oder Staatsanwaltschaft eingereicht werden.
- Nach Erhebung der Anklage muss der Beschuldigte den Antrag beim Gericht der Anklage erheben.
Aber auch hier besteht die zuvor genannte Ausnahme, dass die Staatsanwaltschaft vorläufig selbst über den Antrag entscheiden darf und ihre Entscheidung im Nachhinein einem Gericht vorlegen muss.
4. Wer wird mein Pflichtverteidiger?
Natürlich stellt sich auch die wichtige Frage, wer dann überhaupt die Verteidigung übernimmt.
Es kommt drauf an:
- Bevor ein Verteidiger zum Pflichtverteidiger des Beschuldigten ernannt wird, muss der Beschuldigte die Gelegenheit haben, selbst einen Verteidiger für diese Rolle zu benennen. Dieser ausgewählte Pflichtverteidiger ist dann ein sogenannter Wahlpflichtverteidiger. Die Auswahl des Beschuldigten darf nur verweigert werden, wenn ein wichtiger Grund gegen den ausgewählten Verteidiger spricht. Dies ist auch der Fall, sollte der gewünschte Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig verfügbar sein.
- Benennt ein Beschuldigter nicht selbst einen Verteidiger, wird gem. § 142 Abs. 6 StPO ein Pflichtverteidiger aus einem speziellen Verzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer ausgewählt. Jedoch wird nicht schlicht irgendein Anwalt aus einer Liste nach Zufall angefragt. Entweder ein Fachanwalt für Strafrecht wird kontaktiert oder ein Rechtsanwalt, der offiziell sein Interesse an der Übernahme einer Pflichtverteidigung eingetragen hat und hierfür auch geeignet ist.
5. Die Kosten oder Gebühren der Pflichtverteidigung
In der Belehrung über seine Rechte auf einen Pflichtverteidiger ist der Beschuldigte auch über die Kosten der Pflichtverteidigung zu belehren.
Zum einen gibt es gesetzlich festgelegte Gebührensätze für die Arbeit eines Pflichtverteidigers. Zusätzlich kann auch mit dem Mandanten ein darüber hinaus gehendes Honorar vereinbart werden.
Die gesetzlichen Gebühren sind im sogenannten Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und im zugehörigen Vergütungsverzeichnis in den Nr. 4100 ff. festgelegt. Sie liegen beim Pflichtverteidiger der Höhe nach in der Regel unter denen für einen Wahlverteidiger. Das Vergütungsverzeichnis legt eine Grundgebühr, Gebühren für bestimmte Verfahren und Terminsgebühren fest. Die finale Höhe der Gebühren ist also nach dem individuellen Fall und anfallenden Terminen bemessen. Allerdings ist die Gebührenhöhe für die jeweilige Tätigkeit genau festgelegt. Anders als bei der Wahlverteidigung gibt es keinen Spielraum zwischen zwei vom Gesetz genannten Beträgen. Das Vergütungsverzeichnis greift hier jeden denkbaren Fall auf, in dem der Pflichtverteidiger tätig werden kann.
Die gesetzlich geregelte Grundgebühr für eine Pflichtverteidigung liegt derzeit bei 176,00 EUR, sie fällt einmalig und mit Einarbeitung in den Fall an. Mit dieser Grundgebühr ist also zu rechnen, sobald der Pflichtverteidiger seine Arbeit aufnimmt.
Im Übrigen können für die Begleitung von verschiedensten Terminen und andere anfallende Aufgaben Gebühren anfallen. Die Höhe richtet sich nach Art und Aufwand des Termins. Die einzelnen Gebührenposten liegen derzeit zwischen 150,00 EUR und knapp unter 700,00 EUR.
6. Wer bezahlt den Pflichtverteidiger?
Der Pflichtverteidiger ist zwar in gewissen Fällen vom Staat bestellt und (vorab) bezahlt, aber er arbeitet nicht „für den Staat“, ist unabhängig und nur dem anwaltlichen Berufsrecht unterworfen.
Die Kosten der Pflichtverteidigung in Höhe der gesetzlichen Gebühren werden meistens zunächst von der Staatskasse bezahlt.
Verurteilung
Eine vollständige Übernahme der Kosten im Falle nur geringer finanzieller Mittel etwa bei Bürgergeldempfängern (Hartz IV) oder Sozialhilfebezug ist nicht vorgesehen.
Einstellung
Wird das Verfahren nach Ermessen des Gerichts eingestellt, entscheidet es zusätzlich je nach Fall darüber, ob u.a. die Gebühren für die Verteidigung durch den Staat zu erstatten sind.
Wir das Verfahren eingestellt, bevor das Gericht überhaupt ein Gerichtsverfahren eröffnet, oder das Gericht lehnt die Eröffnung ab, zahlt der Staat alle Kosten inkl. der Gebühren für den Pflichtverteidiger.
Der relevanteste Fall ist die Einstellung mangels eines hinreichenden Tatverdachts nach § 170 StPO. Die Staatsanwaltschaft kommt hier im Rahmen des Ermittlungsverfahrens zu dem Ergebnis, dass ihre Nachforschungen keinen ausreichenden Verdacht ergeben haben, um überhaupt eine Anklageschrift bei einem zuständigen Gericht einzureichen. Es können im Ermittlungsverfahren aber schon Gebühren des Pflichtverteidigers angefallen sein, welche dann der Staat zu tragen hat.
Freispruch
Kommt es zu einem Freispruch muss der Staat ebenfalls sämtliche Kosten inkl. der Gebühren für den Pflichtverteidiger tragen.
Besteht zusätzlich noch eine Honorarvereinbarung mit dem Pflichtverteidiger, dann muss der Beschuldigte bzw. Angeklagte oder Verurteilte das Honorar, soweit es über den gesetzlichen Gebühren liegt, immer selbst bezahlen.
7. Exkurs: Pflichtverteidiger im Jugendstrafrecht
Im Bereich des Jugendstrafrechts regelt § 68 Jugendgerichtsgesetz (JGG) in Verbindung mit § 68a JGG, wann ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt und ein Pflichtverteidiger hinzuzuziehen ist.
Neben den auch für Erwachsene einschlägigen Konstellationen benennt das Gesetz noch ein paar Sonderfälle für Jugendliche.
Zum Beispiel:
- Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten bzgl. der Unterbringung in einer Anstalt;
- Erwägung einer Jugendstrafe
Hinsichtlich der Kostentragung gelten grundsätzlich dieselben Regeln wie für Erwachsene. Jedoch kann das Gericht nach § 74 JGG auch davon absehen, dem Jugendlichen die Kosten des Verfahrens (also auch die Gebühren des Pflichtverteidigers) aufzuerlegen, während ein Erwachsener sie eigentlich zu tragen hätte. Beispiele nennt das Gesetz nicht, das Gericht kann hier eine Abwägung treffen.
8. Kann man den Pflichtverteidiger wechseln oder sogar ablehnen?
So wird sichergestellt, dass im Fall der notwenigen Verteidigung stets ein Pflichtverteidiger verfügbar ist.
Den Wechsel des Verteidigers regelt § 143a StPO. Voraussetzung ist immer, dass der gewünschte Pflichtverteidiger sich bereit erklärt hat. In folgenden Fällen ist beispielsweise ein Wechsel möglich:
- Die dem Beschuldigten gesetzte Frist zur Benennung war sehr kurz und der Beschuldigte hat diese Frist verpasst. Das Gericht hat den Verteidiger ausgewählt. Der Beschuldigte kann nun beantragen, einen von ihm bezeichneten Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger zu bekommen.
- Der Pflichtverteidiger beantragt die Aufhebung selbst, bspw. wegen unzumutbarer Entfernung zum Aufenthaltsort des Beschuldigten.
- Eine angemessene Verteidigung ist nicht möglich, bspw. weil das Vertrauensverhältnis zwischen Beschuldigtem und Pflichtverteidiger endgültig zerstört ist.
- Der Beschuldigte wurde verurteilt und legt Revision ein.
- Der bestellte Pflichtverteidiger erscheint nicht zur Gerichtsverhandlung, verlässt die Verhandlung oder weigert sich, die Verhandlung zu führen (Pausierung der Verhandlung möglich zur Vorbereitung des neuen Verteidigers).
9. Fazit
- Legt das Gesetz den Fall einer sog. „notwendigen Verteidigung“ (z.B. Vorwurf einer Straftat mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe, mögliche Untersuchungshaft, drohendes Berufsverbot) fest, kann ein Pflichtverteidiger hinzugezogen werden.
- In bestimmten Fällen muss ein Pflichtverteidiger unabhängig von einem Antrag des Beschuldigten hinzugezogen werden.
- Der Pflichtverteidiger kann vom Angeklagten selbst oder von Staatsanwaltschaft und Gericht ausgewählt werden.
- Ein Wechsel des Pflichtverteidigers ist möglich.
- Die Gebühren des Pflichtverteidigers richten sich – sofern nichts anderes vereinbart wurde – nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz und werden in der gesetzlichen Höhe zunächst meistens vom Staat getragen.
- Wer verurteilt wird, muss den Pflichtverteidiger selbst bezahlen. Bei einem Freispruch bezahlt der Staat die gesetzlichen Gebühren der Pflichtverteidigung.
- Im Jugendstrafrecht gibt es die gleichen und noch zusätzliche Fälle einer Pflichtverteidigung. Der Jugendliche muss auch bei einer Verurteilung nicht immer die Kosten selbst tragen.